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Strafverfahren gegen Niels Högel - ein Überblick


Das Urteil:

Im Strafverfahren 5 Ks 1/18 wurde der ehemalige Krankenpfleger Niels Högel nach insgesamt 24 Verhandlungstagen am 6. Juni 2019 durch die Schwurgerichtskammer wegen Mordes in 85 Fällen schuldig gesprochen und in 15 Fällen freigesprochen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Unter Einbeziehung von Strafen aus vorigen Urteilen hat die Schwurgerichtskammer eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist nicht angeordnet worden. Insoweit waren nach Einschätzung des Gerichts nicht alle rechtlich notwendigen Voraussetzungen erfüllt.

Sowohl der Angeklagte wie auch ein Nebenkläger hatten Revision eingelegt, die der Bundesgerichtshof als unbegründet verworfen hat.

Die ursprünglichen Tatvorwürfe:


Dem Angeklagten waren in vier Anklagen insgesamt 100 Mordfälle durch die Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden. Am 30. Oktober 2018 hatte die Hauptverhandlung gegen Niels Högel begonnen. In vier – zu einem Verfahren verbundenen Anklagen – hatte die Staatsanwaltschaft Oldenburg dem Angeklagten 100 Morde, begangen zwischen dem 07. Februar 2000 und dem 24. Juni 2005, vorgeworfen. Die Verstorbenen waren zwischen 96 Jahren und 34 Jahren alt. In ihrer Anklage hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zu Last gelegt, in seiner beruflichen Position als Krankenpfleger Patienten durch die Verabreichung nicht indizierter Stoffe bzw. Medikamente, namentlich Kalium, Gilurytmal (Wirkstoff Ajmalin), Sotalex (Wirkstoff Sotalol), Xylocain (Wirkstoff Lidocain) und Cordarex (Wirkstoff Amiodaron) getötet zu haben.

Die Beweisaufnahme:


Die Verhandlung fand an folgenden Tagen in den Weser-Ems-Hallen, Europaplatz 12, in Oldenburg statt: 30.10., 21.11., 22.11., 11.12., 12.12.2018, 03.01., 04.01., 22.01., 23.01., 30.01., 31.01., 21.02., 22.02., 07.03., 08.03., 28.03., 29.03., 04.04., 05.04., 25.04., 26.04., 16.05., 17.05., 05.06., 06.06.2019

Der Angeklagte hat sich zur Sache eingelassen. Niels Högel hat 43 der Vorwürfe gestanden, bei 52 Vorfällen erklärt, sich nicht zu erinnern, und fünf Fälle bestritten.


514 Dokumente, darunter überwiegend medizinische Gutachten, sind im Rahmen des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden.

Es sind 32 Zeugen geladen worden; von ihnen sind acht vereidigt worden. Drei Zeugenvernehmungen haben unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.

Vier medizinische Sachverständige haben Rede und Antwort zur Beurteilung von Krankheitsverläufen und Wirkstofffunden gestanden.

Ein forensischer Sachverständiger, Prof. Steller, hat als Aussagepsychologe die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten beurteilt. Er kam zu dem Ergebnis, dass bei dem Angeklagten Högel Lügenkompetenz und Lügenbereitschaft vorlägen, den Geständnissen aber Überzeugungswert zukomme, weil es keine Anzeichen für Falschgeständnisse gebe.


Für die Bewertung einer etwaigen Schuldfähigkeitseinschränkung und Fragen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat die Kammer das Gutachten des Sachverständigen Prof. Saß eingeholt. Dieser ist von einer voll erhaltenen Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen.

Am Schluss der Beweisaufnahme hat die Staatsanwaltschaft in 97 Fällen eine Verurteilung und in 3 Fällen einen Freispruch beantragt. Die Verteidigung hat in weitausmehr Fällen die Beweislage als nicht ausreichend für eine Verurteilung erachtet. Sie hat in 31 Fällen einen Freispruch beantragt und eine Verurteilung wegen Mordes in 55 Fällen und wegen versuchten Mordes in 14 Fällen.


Die Medien und die Öffentlichkeit:


Für die Medienvertreter standen 80 Plätze, für die übrige Öffentlichkeit 118 Plätze zur Verfügung.

Im Gegensatz zu Erfahrungen bei anderen aufsehenerregenden Prozessen hat das öffentliche Interesse am Verfahren über die Zeit nicht ab-, sondern sogar zugenommen. Während am ersten Verhandlungstag noch etliche Sitzplätze freigeblieben waren, kam es im Laufe der Verhandlungstage zu einer deutlichen Zunahme der Zuschauer, bis zu 190 Personen (neben etwa 25 Medienvertretern).

Ein Ausblick:

Bei der Schwurgerichtskammer ist noch ein Verfahren gegen vier Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst und vier des Klinikums Oldenburg anhängig.

Die Hauptverhandlung in diesem Verfahren soll ab Februar 2022 erfolgen.



(Stand November 2021)

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